Valeriia (27), Automechanikerin und Vertrieblerin, Charkiw

Für die Ukraine wünsche ich mir, dass die europäischen Werte in der Ukraine ankommen und wir uns von der sowjetischen Idee loseisen. Und dann wird das Leben in der Ukraine viel besser.

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    Entfernung: Witten – Charkiw: 2.295,6 km
    Leaflet | © Map Services | Kartendaten © OpenStreetMap Mitwirkende (Lizenz: ODbL)

    Charkiw ist nach Kiew mit rund 1,5 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Mit 42 Universitäten und Hochschulen ist sie das nach Kiew bedeutendste Wissenschafts- und Bildungszentrum des Landes.
    Die Stadt liegt im Nordosten der Ukraine an der Mündung des Flusses Charkiw in den Lopan und des Lopan in den Udy. Sie ist ein Industriezentrum (Elektro-, Nahrungsmittel-, chemische Industrie; Maschinen- und Schienenfahrzeugbau), mit sechs Theatern und sechs Museen ein kulturelles Zentrum und ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt

    Zum Konflikt

    „Ich habe eigentlich, wenn ich ehrlich bin, nicht viel vom bevorstehenden Konflikt mitbekommen. Aber man merkte deutlich, nachdem Poroschenko zum Präsidenten gewählt worden ist, dass er versucht hat, alles zu „ukrainisieren“.  Warum auch immer sollten alle Straßen plötzlich umbenannt werden, aber das kostet natürlich sehr viel Geld und die Menschen waren damit nicht einverstanden. Ich persönlich war der Meinung, dass man das Geld auch in andere Bereiche hätte investieren können als in Straßenumbenennungen.
    Ich habe Freunde und Bekannte in Russland. Wir haben uns niemals über politische Themen unterhalten, aber ich habe gemerkt, wie Bekannte Kontakte zu russischen Angehörigen abgebrochen haben. Bei mir war das nicht der Fall, aber ich habe mitbekommen, dass sich die politische Situation auf die sozialen Beziehungen übertragen hat. Und am 24. Februar 2022 hat sich einfach alles in Bezug zu Russland geändert: politisch, ökonomisch und individuell. Bereits 2014, als die kriegerischen Auseinandersetzungen in Lugansk begonnen haben, kam meine Familie, welche in Lugansk lebte, zu mir und ich merkte sofort, dass sich etwas Gravierendes verändert haben muss.“ 

    Persönliche Situation

    „Ich bin gelernte Automechanikerin. Nachdem ich einige Zeit in diesem Beruf gearbeitet habe und sich etwas in meinem Leben veränderte, wurde ich Vertrieblerin bei Coca-Cola. Seit einem Jahr erlerne ich einen neuen Beruf und versuche Motion-Designerin zu werden.
    Die Situation 2014 war insgesamt sehr kompliziert. Natürlich fand ich es gut, dass gegen die korrupte Regierung von Seiten des Volkes vorgegangen wurde, aber auf der anderen Seite empfand ich es auch als falsch, denn eine Regierung muss immer gewählt sein und zu jenem Zeitpunkt war sie es auch. Es hätte nie zu den Ausschreitungen auf dem Maidan kommen dürfen. Vielmehr hätten Neuwahlen ausgerufen werden müssen. Dadurch wären alle Menschen zur Wahl gegangen und man hätte durch einen Volksentscheid einen neuen Präsidenten, eine neue Regierung wählen können. Die Eskalation war also unnötig. Denn dadurch radikalisierten sich die Menschen und deren Positionen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt einen Freund, der in Kiew studierte. Er lebte in einem Studentenwohnheim. Es kam also zu der Situation, dass einige Aktivisten der Maidan-Bewegung in dieses Wohnheim eingedrungen sind, die Bewohner mit Messern bedrohten und sagten, dass sie nun auch dort wohnen würden. Es gab also auch sehr extreme Aktivisten, also Personengruppen, die zum Teil auch sehr aggressiv gehandelt haben, was nicht hätte sein müssen. Vielleicht sollte ich das auch nicht erzählen, aber man muss ja auch seine eigene Position gerecht reflektieren.
    In Charkow waren wir auch nicht zwingend mit der Maidan-Bewegung einverstanden, da wir der Meinung waren, dass es noch zu früh für die Ukraine wäre, Mitglied der EU zu werden und die Beziehungen zu Russland abzubrechen. Aber mittlerweile denken wir natürlich nicht mehr so. Der Krieg am 24. Februar 2022 kam schlussendlich überraschend. Wir haben uns sogar darüber lustig gemacht, da laut den Medien der Krieg ja bereits am 16. Februar 2022 begonnen hätte. Das haben wir belächelt. Wir haben es nicht erwartet, dass das passiert, auch wenn es schon angedeutet wurde. Wie kann überhaupt im 21. Jahrhundert ein Krieg ausbrechen, wenn Länder die Möglichkeit haben, sich an einen Tisch zu setzen und Dinge aus- und verhandeln können? Warum muss dieser Krieg sein?“

    Wünsche

    „Für die Ukraine wünsche ich mir, dass die europäischen Werte in der Ukraine ankommen und wir uns von der sowjetischen Idee loseisen. Und dann wird das Leben in der Ukraine viel besser. Ich selbst wünsche mir ein Auto, welches ich nicht reparieren muss.“

    Das Interview wurde am 25. April 2022 von Sebastian Schopp geführt.

  • English

    Valeriia (27), car mechanic and saleswoman, Kharkiv

    Distance: Witten - Kharkiv: 2,295.6 km

    Leaflet | © Map Services | Kartendaten © OpenStreetMap Mitwirkende (Lizenz: ODbL)

    Kharkiv is the second largest city in Ukraine after Kiev, with a population of around 1.5 million. With 42 universities and colleges, it is the most important scientific and educational center of the country after Kiev.
    The city is located in the northeast of Ukraine at the mouth of the Kharkiv River. It is an industrial center, a cultural center with six theaters and six museums, and an important transportation hub.

    On the conflict

    "I actually, if I'm honest, didn't notice much of the upcoming conflict. But you could clearly see after Poroshenko was elected president that he was trying to "Ukrainize" everything.  For whatever reason, all the streets were suddenly going to be renamed, but of course that costs a lot of money and people didn't agree with that. Personally, I thought that the money could have been invested in other areas than street renaming.
    I have friends and acquaintances in Russia. We never talked about political issues, but I noticed how acquaintances broke off contacts with Russian relatives. This was not the case with me, but I have noticed that the political situation has spread to social relations. And on February 24, 2022, everything simply changed in relation to Russia: politically, economically, and individually. Already in 2014, when the warlike clashes in Lugansk started, my family, which lived in Lugansk, came to me and I immediately realized that something serious must have changed." 

    Personal situation

    "I am a trained auto mechanic. After working in this profession for some time and something changed in my life, I became a saleswoman at Coca-Cola. For the last year I have been learning a new profession and trying to become a motion designer.
    The situation in 2014 was very complicated overall. Of course I thought it was good that action was taken against the corrupt government by the people, but on the other hand I also felt it was wrong, because a government must always be elected and at that time it was. The riots on the Maidan should never have happened. Instead, new elections should have been called. That way, all the people would have gone to the polls and a new president, a new government, could have been elected through a referendum. So the escalation was unnecessary. Because it radicalized people and their positions. I had a friend at that time who was studying in Kiev. He was living in a dormitory. So the situation arose that some activists of the Maidan movement entered this dormitory, threatened the residents with knives and said that they would now live there as well. So there were also very extreme activists, groups of people, some of whom also acted very aggressively, which should not have been necessary. Maybe I shouldn't tell that either, but you also have to reflect your own position fairly.
    In Kharkov, we did not necessarily agree with the Maidan movement either, because we thought that it was too early for Ukraine to become a member of the EU and to break off relations with Russia. But by now, of course, we don't think that way anymore. The war on February 24, 2022 finally came as a surprise. We even made fun of it because, according to the media, the war would have started on February 16, 2022. We smiled at that. We didn't expect it to happen, even though it had been hinted at. How can a war break out at all in the 21st century when countries have the ability to sit down at a table and work things out and negotiate? Why does this war have to be?"

    Wishes

    The Interview was conducted by Sebastian Schopp on April 25, 2022

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